Das Wildschwein von Allenbostel

     
Meine Mutter (ausgerechnet sie mit ihrem Pazifismus!) saß mit dem Jagd-Gewehr vom Hof nebenan im Anschlag hinter dem Küchenfenster vom Pfarrhaus. Sie wartete auf die Wildschweine. Genauer: Sie wartete auf die Chance der Verteidigung ihres Gemüsegartens. Das war 1944/45. Jetzt, 2007/ 08) leide ich unter Wildschweinplage. Ich will den Jägern bei uns in der Region nichts direkt zum Abschuß empfehlen - aber diese Spezies Wildschwein gefährdet die seelische Ausgeglichenheit von Sir Henry, gefährdet mein Leben und das Leben nächtlicher heimischer Heimkehrer oder auswärtiger Gäste ohne Taschenlampe und Nerven. Letzteres brauchen sie.
Sir Henry war der erste, der die Gefahr entdeckte und in Zittern verfiel. Sir Henry ist ein leichtes niedersächsisches Kaltblut (keine Papiere, aber edles, ruhiges Gemüt). Sonst biegt er bei Hahn um die Ecke, um entweder bei Gärtner Schulz Richtung Pott weiterzuschaukeln. Oder er zuckelt geradeaus bei Mindermanns, Brüggemanns und Bokelmanns und dem Hausschlachter vorbei in Richtung Bahnlinie und Forst. Das ist jetzt verunmöglicht durch die Wildschweinplage. Genauer: Durch das Wildschwein, das Denis Heinemann mit der Motorsäge derart künstlerisch gestaltetete, dass Sir Henry es nicht unterscheiden kann von den lebenden. Sir Henry vergisst unter Schock sogar zu riechen - dann würde er ja Holz riechen und sich abregen…Denn Denis` Wildschwein ist ein Holzwildschwein, dem lebenden täuschend ähnlich.
  In Lebensgröße. Mit gleich zupackenden Hauern. Man darf also Sir Henry nicht übergroße Sensibilität oder gar Neigung zur Hysterie unterstellen.
Es muß (für Sir Henry u.a. Vier - und nicht wahrnehmungsfähige Zweibeiner) ernsthaft erwogen werden, ob ein Künstler wie Denis Heinemann derart täuschen darf. Kann er sich nicht begnügen, wie Werner Steinbrecher, so ein Vieh kleiner auf Papier zu malen, auch wetterfest (wie Steinbrechers biblische Bilder auf dem Auferstehungsweg von Hanstedt nach Ebstorf) und ein verkleinertes Bild an Hahns Zaun hängen?
Das Wildschwein vor Hahns Haus am Brink - zugegeben - ist eine Täuschungskunst hohen Ranges. Weswegen befürchtet werden muß, dass die anderen Jäger sich ebenfalls ihre Lieblingsviecher bei Denis im Laufe der Zeit bestellen und das Dorf künftig nicht mehr von kleinen Kindern, hochbetagten schreckhaften Zweibeinern und Vierbeinern wie Sir Henry beschritten werden kann. Überall Rehböcke, weitere Wildschweine, Füchse von Denis. Und erst unser Heidewolf!
Wenn er gestorben sein wird (nicht Denis, ich meine Sir Henry) dann gehe ich rüber zu Denis und bestelle ihn (Sir Henry) mir aus Holz. Auch 1:1. Als Erinnerung an Sir Henry und an Odysseus Trojanisches Pferd. Und für evtl. Enkel was zum Üben.
Meine Mutter hat übrigens nur in die Luft geschossen, nie ein Wildschwein töten wollen. Im Gegensatz zu mir und dem Holzwildschwein.



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Prof.Dr.Decker-Voigt@t-online.de

 
12. Februar 2008