Schamuhns Verrücktheit

     
Die Queen feiert ihren Geburtstag mehrfach: privat im intimen Rahmen, mehrere Wochen später dann offiziell im Parade-Rahmen. Personen der Zeitgeschichte dürfen das. Reinhard Schamuhn tut es. Er feiert nicht nur wenige Wochen, er feiert seit Monaten. Die ersten Einladungen zu diesem Geburtstag seines vor 20 Jahren an der Rosenmauer gegründeten „Neuen Schauspielhauses“ gingen schon vor einem halben Jahr heraus. Übertrieben? Am 8. 8. 1988 wurde in den Räumen einer dann sehr schnell bekannt werdenden Bruchbude aus Uelzens Hochmittelalter nicht nur sein Neues Schauspielhaus gegründet, auch Schamuhns „Kreativer Speicher“ wurde mitgegründet, auch „Schamuhns Museum“. Höhenflug eines Verrückten? Im Kuratorium, das er um sich versammelte, fanden sich Hochadel, Adel, Wissenschaft, Star-Journalismus und Star-Strafverteidigung. Kompensation eines Minderwertigkeitskomplexes? Bei einer Wahl kandidierte er für den Bürgermeistersessel – und errang über 1000 Stimmen? Ein Hans-Dampf-in-allen-Gassen? Ich liebe die Verrücktheiten des Reinhard Schamuhn aus allerbesten Gründen. Zum einen ist jemand, der sich selbst für verrückt erklärt, weit gesünder als die meisten von uns, die noch nicht einmal ernsthafte Verrücktheiten an sich kennen. „Uelzens verrücktes Huhn“, „Schamuhns Dachschaden“ sind Eigenbezeichnungen und kennzeichnen die Rücksichtslosigkeit, mit der Schamuhn seine Rolle(n) als „Intendant“, als scheinbar lustiger An-Mahner ernsthafter Themen, als bildender Künstler und immerzu als verständnisvoller Förderer und Freund seiner   unbekannteren wie prominenteren Akteure auf der Bühne im Haus und außerhalb im Garten durchsetzt. Meistens menschenfreundlich, immer hilfsbereit, manchmal kompromissbereit, ständig in Geldnöten, grundsätzlich die Zukunft als Lebensmöglichkeit liebend. Ein nach Uelzen verirrter Künstler? Schamuhn ist überzeugt von seiner Aufgabe eben in der Provinz. Auch die braucht neben dem offiziellen, formellen Kulturbetrieb einen informellen, neben großer Bühnenkunst große Kleinkunst auf winziger Bühne. Schamuhn als Vertreter einer alternativen, komplementären Kunst und sein öffentlich-offizielles Pendant, die Kulturmanagerin Ute Lange-Brachmann seien hiermit belobigt, dass sie sich leben lassen lernten.
Schamuhns Verrücktheiten sind sorgfältig geplant, was dem Durchschnitts-Uelzener ebenso unbekannt sein dürfte wie der Fakt, dass Schamuhn außerhalb von Uelzen echte Kreativitätsgeschichte schrieb: Die Gründung des ersten Flohmarktes mit Kleinkunstaktionen am und im Leine-Wasser Hannovers, seine notariell beglaubigte „Heirat“ des Pariser Eiffelturmes und so vieles mehr sind nur Einzelheiten eines wunderbar verrückten Lebenswerkes.
Ausschnitte davon sind zu sehen und zu hören in einer Dauerausstellung an der Rosenmauer. Der Festhöhepunkt ist am 8. 8. 08. Ich werde ihn gespalten mitfeiern: physisch auf dem Wasser, geistig in einer der charmantesten, gebildetsten Bruchbuden der Nation – inzwischen ohne Dachschaden. Sieht man von dem von ihm kultivierten Dachschaden einmal ab.



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Prof.Dr.Decker-Voigt@t-online.de

 
29. Juli 2008