Rezension des Buches „Nehmen Sie doch schwarze, Herr Professor, die sind erotischer. Von Kompressionsstrümpfen- und andere Geschichten aus (m)einer Reha." in der Zeitschrift "Existenz und Logos", Heft 30 2022

Hans-Helmut Decker-Voigt, Prof. Dr. Dr. h. c. mult. ist Musiktherapeut, Ausdruckstherapeut und Hypnosetherapeut. Von 1990 bis 2010 war er Gründungsdirektor und Lehrstuhlinhaber des Instituts für Musiktherapie der Hochschule für Musik und Theater in Hamburg. Zusätzlich ist er erfolgreicher Autor und Gründungsmitglied des Verbandes deutscher Schriftsteller (VS). Als in Celle geborener Pfarrerssohn hat er unter anderem eine beeindruckende Roman-Trilogie über das evangelische Pfarrhaus auf der Grundlage der Biographie seiner Vorfahren verfasst, die sich auf umfangreiche Quellen beruft, die bis in die Reformationszeit zurückreichen.

Er musste in seinem Leben früh eine außerordentliche Resilienz gegen krankheitsbedingte Einschränkungen entwickeln, konnte wegen Polio und TBC nur drei Klassen lang zur Schule gehen und wurde in der Familie durch Privatlehrerinnen individuell gebildet.

Es folgten Verlagslehre, Musikstudium, weiterhin Studium der Pädagogik, der Psychologie und künstlerischen Psychotherapie. Er hat bedeutende Grundlagenwerke der Musiktherapie verfasst, seine Fachbücher erschienen in 16 Sprachen. Er ist Ehrendoktor der Medizin, der Kunstwissenschaften und Bibliothekswissenschaften, ist Gast- und Seniorprofessor an mehreren Hochschulen weltweit und Ehrenmitglied der Gesellschaft ärztlicher und psychologischer Psychotherapeuten Russlands.

Als Schriftsteller beherrscht er aber auch das „leichtere Fach", so schreibt er seit 1980 regelmäßig eine eigene Kolumne in der „Allgemeinen Zeitung der Lüneburger Heide" mit tagesaktuellen sowie tiefgründigeren Themen. Von dieser Fähigkeit zur ironisch-distanzierten, gut lesbaren und humorvollen Schreibkunst profitiert auch das jüngste, hier zu rezensierende Buch, das seine Rehabilitationsbehandlung nach einem schweren Verbrennungstrauma beschreibt und alle Leidensgenossen ermutigen kann.

Die erwähnte „Reha" war nach einem langen, teilweise intensivmedizinischen Krankenhausaufenthalt notwendig geworden, nachdem Decker-Voigt im Januar 2019 bei einem Weihnachtsbaumbrand schwer verletzt worden war. Dabei wurde auch sein Haus in der Lüneburger Heide einschließlich vieler Noten und Musikinstrumente stark beschädigt. Fast alles ist inzwischen wieder hergestellt, aber es grenzt an ein Wunder und zeugt von enormer psychologischer und physiologischer Widerstandskraft, dass der Autor trotz schwerster Verletzungen wieder komplett genesen ist. Der Tiefpunkt seiner Behandlung war nach eigenem Bekunden, als man ihm eröffnete, dass er aufgrund von Kontrakturen und Hauttransplantationen wohl nie mehr in der Lage sein werde, auf gewohntem Niveau Klavier zu spielen. Als ihm diese Prognose mitgeteilt worden ist, habe er erstmals in seinem Leben lebensüberdrüssige Gedanken gehabt. Nach Verarbeitung des ersten Schocks habe er sich aber, unterstützt durch seine Therapeuten, insbesondere seine Physiotherapeuten, entschieden, diese Prognose nicht zu akzeptieren und an der Wiederherstellung auch seiner Musizierfähigkeit konsequent zu arbeiten. Durch langes hartes Training und stetige Übung ist dies schließlich auch gelungen, Hans-Helmut Decker-Voigt kann seinen ebenfalls wiederhergestellten historischen Flügel so spielen, wie vor der Verletzung. Für uns Psychotherapeuten ist diese Krankengeschichte sehr lehrreich, da sie die Bedingungen für Resilienz, in diesem Falle besonders Humor, Selbstdistanzfähigkeit und Ziel- bzw. Sinnorientierung aufweist.

Gemessen an der Ernsthaftigkeit des Traumas wirkt die Beschreibung der Rehabilitationsbehandlung in einer ostdeutschen Klinik eher leichtfüßig mit sehr viel Einfühlung und Sympathie für seine Mitpatientinnen und Mitpatienten und mit viel Achtung, Dankbarkeit aber auch gelegentlich satirischer Überzeichnung seiner Ärztinnen und Therapeuten. Der ganze Duktus ist von tiefer Menschenfreundlichkeit geprägt, nie macht er sich über seine Leidensgenossen lustig, sondern er praktiziert mit ihnen zusammen die humorvolle und heilsame Distanzierung von einer prinzipiell zunächst ziemlich unerfreulichen Situation. In diesem Sinne wird auch gleich zu Beginn klargestellt, dass eine Rehabehandlung keine Kur und damit kein Zuckerschlecken ist.

Manchmal fühlt man sich an den Zauberberg von Thomas Mann erinnert (allerdings in der ostdeutschen Ebene), zum Glück dauerte der Aufenthalt unseres Helden dann doch keine sieben Jahre und endete auch nicht mit einem Weltkrieg. Der Grund dafür wird auf den Seiten 13 und 14 erläutert: Im Gegensatz zu Hans Castorp mangelt es unserem Patienten an „sekundärem Krankheitsgewinn", er genießt zwar im Rahmen der gesundheitlichen Möglichkeiten seine flachländische Zauberbergkur, hat aber gesunderweise immer das Ziel vor Augen, wieder der Alte zu werden, allerdings mit einem durch die Erfahrung der Hinfälligkeit bedingten besonderen Bewusstsein für die Chance der Verwirklichung von Erlebnis- und schöpferischen Werten (Frankl). „Die gesunden Teile in uns sind es, die dann den sozialen, den sekundären Krankheitsgewinn auf die Dauer verhindern und in das Gegenteil verkehren. Passiert das nicht, werden Menschen zu Hypochondern und Hypochondrie erfordert schleunigst ein zusätzliches Behandlungskonzept. Eines für die Psyche" (Decker-Voigt, Seite 14).

Daher hat er sich angewöhnt, die von den Mitpatienten geforderte Beschreibung des Unfallhergangs im eingeübten Telegrammstil (etwa eine Minute) darzulegen und nicht weiter zu vertiefen, sondern das Augenmerk auf die Überwindung der Misere zu legen. Das Konzept des Psychotherapeuten Decker-Voigt, nämlich die gesunden Teile in uns zu fördern, verhindert, dass er wie Hans Castorp auf dem Davoser Zauberberg zum Hypochonder und damit zum Psycho-Patienten wird. Es ist ganz im Sinne der Logotherapie, in buchstäblich jeder Lebenslage die gesunden Anteile zu aktualisieren, sie zu fördern und die Möglichkeiten jeder Situation anhand der gefühlten Werte zu ergründen. Im Falle von Hans-Helmut Decker-Voigt sind dies vor allem kreative-, aber auch Erlebniswerte; die Aussicht auf die Wiedererlangung der Musizierfähigkeit und deren therapeutische Anwendungsmöglichkeit ist so verlockend, dass allen hypochondrischen Versuchungen widerstanden werden kann.

Wie bei Thomas Mann spielt auch im literarischen Reha-Bericht die Erotik eine leitmotivische Rolle. Bei Decker-Voigt taucht sie gleich im Titel auf („Nehmen Sie doch schwarze, Herr Professor, die sind erotischer ...") und setzt sich explizit in den Kapiteln „Bettgeschichten" und in der Titelgeschichte fort, implizit schwingen erotische Motive unterschwellig oft mit, zum Beispiel bei der Kurschattensuche, aber auch bei Fango oder bei Tango (Kapitel 7).

Als literarisches Leitmotiv kommt, abgesehen von der Erotik vor allem die Musik in Betracht - nicht verwunderlich, da unser Autor ja u. a. Musiker und Musiktherapeut ist. Dass bei Thomas Mann der „Seelenzauberkünstler" Richard Wagner nicht nur im Kapitel „Fülle des Wohllauts" der Favorit ist, überrascht nicht, dass bei Decker-Voigt aber der Nibelungenring vom Mitpatienten und Landwirt Herrn Ernst in der Scheune oder gar vom Traktor dirigiert wird, ist schon einigermaßen erstaunlich und demonstriert einmal mehr die universale Macht der Musik.

Auf der Pinnwand vor dem Speisesaal hängt die Einladung: „Singen ist gesund". Dieser Aufforderung schließt sich der Autor an und widmet ihr gleich zwei Kapitel („Vom Singen I und II"). Die heilende Kraft der Musik und insbesondere des Singens muss übrigens nicht unbedingt von examinierten Musiktherapeutinnen zur Anwendung gebracht werden, der Psychologe Herr Kahn zeigt, dass man auch als diesbezüglicher Laie mit entsprechendem Enthusiasmus und Überzeugungskraft heilsam wirken kann. Damit sind wir wieder bei den Sinnverwirklichungsmöglichkeiten von Frankl: Schöpferische Werte und Erlebniswerte können mit Musik realisiert werden und sie helfen, sich auf den zum Teil langen und mühsamen therapeutischen Weg zu begeben.

Für die Ärzte des Zauberbergs gibt es hier im Flachland aber keine Pendants, der Ärztliche Direktor tritt im Gegensatz zu Hofrat Behrens kaum in Erscheinung und die behandelnde Oberärztin mit „Berliner Schnauze", Frau Dr. Tschilp, ist bodenständig und kompetent und hat nichts mit dem manierierten „Seelenzergliederer" und Möchtegern-Psychoanalytiker Dr. Krokowski gemein, der zwar die tiefsten Geheimnisse der Damen kennt, ansonsten aber nur für die leichten und unheilbaren Fälle zu gebrauchen ist.

Hoffentlich haben die bisherigen Ausführungen gezeigt, warum ich das sehr lesenswerte Buch empfehlen kann, bei einer ausgewogenen Rezension dürfen aber der Vollständigkeit halber auch ein paar kritische Gedanken nicht fehlen, die, das sei vorweg betont, rein subjektiver Natur sind:

Im Kapitel „Der liebe Gott und die Gottlosen" scheint mir der protestantisch-aufklärerische Ehrgeiz des Protagonisten etwas zu weit zu gehen, obwohl die Absicht, in religiösen Fragen zwischen christlicher Tradition und zeitgeistgemäßem atheistischen Materialismus zu vermitteln, ehrenwert ist: Der Mitpatient Herr Ferdy stellt die Gretchenfrage, Frau Pflaumstein versucht sie noch als „übergriffig" abzuwehren, zu spät, der Pfarrerssohn, -enkel und -urenkel antwortet gekonnt mit Entmythologisierung: Er verallgemeinert die konkreten Fragen nach Auferstehung und Sitzordnung im Himmel zu „allgemeinen Fragen der Menschheit", relativiert das Dogma der Jungfrauengeburt in der üblichen Weise durch den Hinweis auf die vielen anderen von Jungfrauen geborenen Propheten, einschließlich des Propheten Mohammed, gesteht aber immerhin zu, dass er einigen der Tipps, die der Mensch Jesus damals für besseres Leben gegeben habe, durchaus folgen könne. Prof. Decker-Voigt geht das Thema psychopathologisch an und findet, dass Christus heute ein interessanter Patient wäre. Das bringt sogar Herrn Ferdy dazu, sein Kauen zu unterbrechen, „Christus - ein Patient" zu wiederholen, es mit einem „Mmm" zu kommentieren und dann zustimmend zu nicken. „Frau Priester hat ihren Sekundenschlaf zwischen Salat und Brot gar nicht erst angefangen und die Augen erschreckt aufgeklappt, als sie den Namen Christus hört. Jesus und Patient'. Sie schüttelt vorwurfsvoll den Kopf" (Decker-Voigt, S. 135). Diesem Kopfschütteln muss sich der Rezensent ausnahmsweise und in aller Zurückhaltung anschließen, hier geht ihm die Entzauberung dann doch etwas zu weit und das katholisch-rechtgläubige Gewissen protestiert.

Aber auch dieses Kapitel zeigt die Vielseitigkeit und vor allem auch Vielschichtigkeit des an der Oberfläche humorvoll und satirisch, in der Tiefenstruktur aber aufklärerisch und therapeutisch wirkenden Werkes: Auch Tabuthemen wie Erotik und Religion kommen zur Sprache und regen nicht nur zum Schmunzeln, sondern auch zum Nachdenken an.

Fazit: Eine so unterhaltsame wie lehrreiche und ermutigende Lektüre.

Jörg Zimmermann