Haushaltshilfe und Seelenbeistand

Sie war bei uns im Haushalt beschäftigt. Genauer: 33 Jahre lang.

Ich meine Stina. Stina Meyer. Geb. 1859 und gestorben 1937. Sie führte den Haushalt meiner Ur-ur-großeltern im alten Holdenstedter Pfarrhaus. Wenn Frau Pastor im Wochenbett lag, führte sie alles. Sie erzog die Kinder mit. Und nebenbei den Pastor und seine Besucher, wenn der zu viel davon anschleppte.

Gewürdigt wurde ihre Treue, die ganz besonders war - auch ganz besonders. Das Grab auf dem Holdenstedter Friedhof, gleich links vom Eingang, lässt Böswillige an Skandal denken. Denn Stina wurde im selben Grab wie ihr Pastor beerdigt. Auf der einen Seite vom Herrn Pastor sie. Auf der anderen Seite Frau Pastor. Mit eben dem Vermerk der 33 Jahre Mitarbeit in Haus und Familie. Das hieß auch Seelenbeistand bei allen, die an der Pfarrhaustür klopften.

Unsere Stina in Hösseringen war Frau Knaak und auf sie traf alles zu, was wir von Stina wissen. Stina schrieb Tagebuch in pingeliger Sütterlinschrift. Im Heimatkalender 1986 – noch vor Horst Hoffmann, dem heutigen Herausgeber – wurde es veröffentlicht.

Nur - dass Frau Knaak nicht eine Generation lang unsere Familie prägte, sondern ein gutes Jahrzehnt. Weil wir wegzogen. Außerdem liebte Frau Knaak ihre eigene große Familie. Wir waren moderner und keiner kam auf den Gedanken, mit ihr ein Grab zu teilen. Wir würdigten Frau Knaack anders. Unsere Töchter sahen und erinnern sie als „Neben-Mutter“. Das hatte sie gemeinsam mit Stina.

In diesem März nun beschloss Frau Bergmann ihre Arbeit in unserem Haus. Nach für heutige Zeiten unvorstellbar langen Zeiten: 32 Jahre. Fast wie Stina. Das Besondere: Unsere Stina, Frau Bergmann, pflegte etliche Möbel, die bereits bei der alten Stina im Haus gepflegt sein wollten. Sie putzte einmal jährlich tagelang den Kronleuchter, der seit der Pariser Weltausstellung im Schloss gehangen hatte. Sie prägte die Kinder mit. Und unauffällig mich mit 5000 Büchern in zwei kleinen Häusern.

Bei ihr, einer modernen Frau, wäre der Gedanke an ein gemeinsames Grab noch absurder. Sie hat alles noch und hat es noch jung und vital: Sich selbst, den Mann, die Kinder, Enkelkinder.

32 Jahre. Das sind mehr, als früher eine Generation beschrieben wurde. 30 Jahre. Was mit dem Querschnitt der deutlich kürzeren Lebenszeit von damals zusammenhing. Googeln wir heute „Generation“ – dann folgen listenweise Definitionen über die „Generation Z“. Ganz versteckt noch Kriegsgeneration.

Im „großen Wahrig“ u.a. Sprachwörtern steht etwas von „Haushalten“ und „Hausführen“. Wenn das derart verdienstvoll gelang wie bei Stina und Frau Knaack und Frau Bergmann – bietet unsere Sprache Schönes an: Auf ihn – oder wie bei uns – auf sie „kann man Häuser bauen“. Die Häuser, die sie mit halten halfen.

19. März 2024