Hi, Freddy

Ich schreibe gerne über Liebe unter Menschen. Ganzjährig. Im Mai besonders. Heute über Freddy. Freddy heißt eigentlich Friederike und um das „eigentlich“ geht es: Um Stile bei der Anrede. Und deren Wirkung.

Die Urgroßmutter von Freddy/Friederike wurde in einem Brief so angeredet:

Mein liebes Fräulein Zietz!

Die Anrede macht klar – das war früher. Präzise: im Mai 1909.  

Fräuleins gibt’s heute nicht mehr. Schon gar nicht solch „Mein“! Kein Mädchen, keine Frauenpersönlichkeit, keine Dame von jung bis reif würde sich heute solch Possessivum bieten lassen. „Mein Mann“ oder „meine Frau“ beim Vorstellen zu sagen, ist auch verpönte Besitzergreifung. Frau stellt sich selbst vor - und nicht hinter den Mann.

„Mein liebes Fräulein Zietz!“ Das Ausrufezeichen hinter der Anrede ist längst ersetzt worden durch das Komma. Wie überhaupt „Sehr geehrtes“ oder gar „Liebes“ getauscht wird durch „Hallo“. Noch kürzer: „Hi“.

Was der Jüngling schrieb? Einen Heiratsantrag. Wann er ihn schrieb? Gleich in Folge des Mai 1909. Wie er schrieb? In Sütterlin-Schrift. Gestochen, klein. Wie lange er schrieb? Tagelang. Oder Nächte. Der Brief hat 14 Seiten, in Worten: vierzehn.

Ich las Auszüge aus diesem Brief laut vor und aus dem Kreis der Zuhörenden – sogar einige ganz junge – hörte ich ein „Ach…“. Später „Wie süß“. Dann Schweigen, das man früher als „wie gebannt“ beschrieb.

Die Klangeigenschaften bei diesen lautlichen Äußerungen transportierten für meine Ohren eindeutig weißen Neid. Weißer Neid ist – schrieb ich schon mal hier und vor mir Dostojewskij– jene Sorte Neid, bei der man dem anderen/der anderen sehr wohl das Beneidete gönnt. Aber es selbst auch gern hätte.

Heute wird Sehnsucht in Short-messages auf dem Handy transportiert.

Der Briefschreiber damals beschrieb auf neun von den vierzehn Seiten seine Liebe. Auf drei weiteren, was er sei und werden wolle (er studierte noch). Auf den übrigen zwei Seiten, was er an Erbe erwarten dürfe. Von wegen Weib und Kind ernähren.

„Liebes Fräulein…“ galt übrigens noch lang. Bis 1969. Da schrieb ich „Liebes Fräulein Jacob“, das an der linken wilden PH in Lüneburg studierte. Mit ihr „habe“ ich nicht sieben Kinder, wie Fräulein Zietz später mit ihrem Briefschreiber. Nur zwei. Aber tolle Töchter. Briefe schafften es eben, dass beim Vorlesen des Briefes von 1909 geseufzte „Achs“ hörbar waren. Und jenes beredte Schweigen.

Heute läuft Liebe direkter, schneller. In der TV-Werbung schiebt ein ca. 10-12 jähriger seiner angebeteten Blonden mit lockigem Haar die Frage rüber, ob sie mit ihm in Urlaub fahren würde. Sie lacht, bejaht und sagt „Ja, aber ohne meinen Alltours sage ich nichts“.

7. Mai 2024