Von…bis heute: Wandlungen

Wandel 1

Technik: Die Anfänge der Kolumne noch auf meiner „Erica“ - mit Kohlepapier, Durchschlag und Spucke für Briefmarke auf Umschlag: ab in die Post. Dann Fax, dann Email und heute beim seltenen Direktgespräch mit Maske zum Deo noch Desinfektion. Oder: Erstes Handy. Im Cafe` Harder gesichtet. Bei einem, der von der Toilette hochkam und rechts noch unten nestelte, während er oben in etwas reinsprach. Oder: Überweisungen kann ich nicht mehr. Seit ich „Ja“ zur digitalen Umstellung sagte, geht Papier und Unterschrift nicht mehr und das Flimmern des TAN-Nummerngerätes macht schwindlig.

Wandel 2

Sprechen und Sprache: Die Grußformeln. Vom „Sehr geehrter…“ oder bei Sympathie oder gar Liebe „Lieber…“ ging es über „Hallo“ und „Hi“ heute gleich zum „Lieber Hans-Helmut“ und „Du“. Nicht nur bei Amazon, ebay und Co. Apropos Schriftsprache. Im Älterwerden beschäftige ich die, die mich redigieren und korrigieren sehr viel mehr denn als Achtjähriger. Statt „daß“ nur noch „dass“. Keine einfachen Kommasetzungen, sondern welche zum vorher Nachdenken. Die Jungen haben mein volles Verstehen, dass ihre Sätze beim Chatten immer kürzer und immer mehr zu Einzelworten werden. Oder gleich Smileys  für große und kleine Gefühle (einfügen). Und ganze Wörter erst: Keine Friseuse mehr (klang doch vornehm und nach Französischkenntnis). Jetzt gibt’s Friseurinnen.

Überhaupt die „Innen“. Dann Sternchen und diverse andere Umlernprozesse vor gesamtgesellschaftspolitischem Hintergrund. Ganz neu: Statt „Zuschauer“ jetzt „Zuschauende“. Man muss höllisch aufpassen, sich nichts einzuhandeln. Von wegen „sexistisch“ oder „großväterlich“, wie ich das mal in einem der bitterbösen Leserbriefe zur Kenntnis nahm (es gab und gibt auch andere…)

Wandel 3

Politik: Kalte Kriegsreste. Carl Friedrich von Weizsäckers kleine Broschüre über seine Visionen nach dem Kalten Krieg war 1970 erschienen, als ich als Student Kolumnen für die Schwäbische Zeitung schrieb und ihn las. Seine Visionen sind heute Wirklichkeit: Die gebündelten destruktiven Kräfte der Großmächte mit der Bedrohung durch 3. Weltkrieg würden sich aufteilen in unzählige kleine Brandherde. Das Wort und die Welt von „Terror“ machten sich breit. Mit bekannten Waffensystemen – und den Waffen der Wörter im Internet. Mal mit, mal ohne Absender.

Wandel 4

Natur: Die alten Vögel piepsten noch im Waldesrauschen wie in deutscher Lyrik beschrieben. Heute auch noch  – durchmischt  mit dem Rauschen von Flügeln postmoderner Windmühlen, die uns mit Energie ernähren, die wir früher verschleuderten.  Ich fahre nicht mehr 200, sondern freiwillig 80 (zwei Rehe nahm ich mit und Alexander, mein Nachbar, eine Wildsau). Im Dorf zu leben ist meine Leidenschaft – und ständige Nachhilfe in Sachen Land und Wirtschaft.

Wandel 5

Familie: Die Töchter von damals sind Mütter und ich konkurriere im Wettbewerb um Christines Aufmerksamkeit  mit vier Enkelkindern. Sie „schafft“ uns aber alle. Die Oma-Witze von vor 40 Jahren (im Hühnerstall Motorrad fahren) wurden Wirklichkeit. Ich kenne Omas auf Honda, BMW, Kawasaki-Maschinen.

Wandel 6

Meine Leserschaft, Verzeihung, meine LeserInnenschaft: Sie ist mit mir 40 Jahre älter geworden und ein paar Jüngere lesen offenbar auch (noch) Zeitung. Manchmal mich. Es dankt dafür:

Hans-Helmut Decker-Voigt

23. September 2020