Danke – für den Schrecken…

…Herr Bürgermeister Bockelmann!

Ihr Brief kam heute an, ein richtiger mit Briefmarke und persönlicher Unterschrift. Adressiert in der ersten Zeile an jene Frau, über die ich mich an dieser Stelle schon mehrfach in den letzten Jahrzehnten ausließ. In der zweiten Zeile war der Brief auch an mich adressiert, weswegen ich ihn auf dem Flur schon allein öffnete. Einladung wegen Bauernrechnung konnte nicht sein. Pandemie. Noch schnellere Impftermine für über 65jährige auch nicht. Dafür zeichnen Kreis, bzw. sein Gesundheitsamt.

Außerdem mich – nur leicht – irritierend: Diese Handschrift vorne und hinten auf dem Umschlag. Schönschrift hieß sie mal. Dann kein Frankierstempel, sondern Beethoven-Kopf auf Briefmarke. Dadada – daaa…

Mit der Irritation öffnete ich den Umschlag und dessen Inhalt jagte mir nach dem „Dadada-daaa“ einen der größeren Schrecken der letzten Jahre ein.

Erschreckte Menschen rufen, schreien auf, geben anderen Laut als sonst. Ich auch. Christine eilte auf den Flur, las dasselbe wie ich.

„Nein!“ rief sie. Auch anders.

Der Bürgermeister hatte außer Beethoven – Dadada-daaaa! – eine zweiseitige Glückwunschkarte geschickt. Blumenstrauß. Farbe Violett – höchster Rang bei hohen Festtagen. Jedenfalls in Kirchen. Innen lasen wir jetzt beide auf dem Flur mit der Abwehr „das darf doch nicht sein!“ - sorgsam formulierte Zeilen. Kein Vordruck. In so was kenne ich mich aus.

Inhalt: Wir feiern heute 50 Jahre Ehe. Goldene Hochzeit. Er und der Rat der Gemeinde…den Rest lasen wir erstmal nicht.

Der Kontrollkalender für familiäre Feste hängt in der Küche. Wir quetschten uns davor und der Kalender stimmte mit dem Bürgermeister überein: 13. März Hochzeitstag.  Jedes Jahr. Vergessen hatten wir ihn einige Male schon, weil wir keine Spezialisten für vorgeschriebene Feste sind. Aber Herr Bockelmann bzw. sein Gemeinde-PC hatte recht: Dies war der 50. Heute! Der standesamtliche, der Kirchen-Termin war einige Wochen danach. Aber amtlich wertvoller ist der 13. März. An dem wurden wir als Liebesleute staatlich anerkannt. Uns rollten innere Tränen: Gemeindedirektor Bertram in Holdenstedt, Gherlig und Eva von der Wense als Trauzeugen (mit Voll-Messingleuchter für uns) – requiescat in pacem! Aber wir leben!

Wir deckten den Tisch um, Vollmessingleuchter in die Mitte, Festgläser für was Spezielles. Hochzeitssuppe aus der Dose, Selfie mitsamt Gratulationskarte und gedecktem Tisch an Kinder und Enkel. Der Schrecken ging weiter. Die schöne Überraschung auch.

Verwahrlost hätten wir die Goldene nicht. Am Vortag hatte ich schon mit der Organistin Frau Schirmer und Wochen vorher mit der Pastorin Dittmar  wegen der Kirche telephoniert – dann alles kirchlich. Später als amtlich. Wie damals.

Danke für den Schreck, Herr Bürgermeister.  Dadada – daaa.

16. März 2021