Trecker-Traum

Es war schon immer mein Traum. Mitzufahren auf einem Traktor. Einem dieser omnipotenten Machtzentren auf vier Rädern, die allein schon die Höhe von Gartenhäuschen haben.

Die Bauern hier im Dorf erfüllten mir bisher jede Bitte: Misthaufen wegfahren, Eichenbaumscheibe (als Gartentisch geeignet) anfahren, die Pachtweide mähen. Auch meine Bitte, als die Enkel da waren, ob diese mal mitfahren dürften auf dem Traum ihrer Träume (noch sind sie nicht geschlechtsreif) wurden erfüllt. Und der Wandel im Kindergesicht von Sehnsucht zu höchster Erfüllung belohnte sie. Und mich, den Vermittler.

Nur in meine Augen sahen unsere Bauern nicht. Und die dortige Sehnsucht bzw. den traurigen Neid, als die Enkel durften.

Neulich standen auf Hahns Hof vier (!) dieser meiner Sehnsuchtsobjekte. Zwei davon auch noch mit Hängern, drei davon blitzblank. Vier Spielzeugträume in Wirklichkeit.

In einem Traum wurde ich unverschämt und fragte, ob sie mir nicht einen von den vielen abgeben könnten. Sozusagen christliche Teilungspflicht. Ich wäre mit dem kleinsten glücklich. Auch ohne Hänger. Obwohl ein Traktor von „trahere“ kommt (lat.= ziehen) und ein Traktor, der nichts zieht, eigentlich keiner ist. Er würde als reines Vergnügungs-Fahrzeug seine Berufung verfehlen.

Aber in meinem Traum waren die Traktoren kleiner, etwa so klein und altehrwürdig wie der Zweitakter von Havelberg nebenan.

Bei Tagesbewusstsein bettelte ich natürlich nicht, weil ich die ungefähren Preise der rollenden Kraftprotze kenne. Auch solch kleiner Oldtimer wie nebenan ist unerreichbar. Für solch Treckerchen zahlen Liebhaber auf Spezialmessen so viel wie für manch gebrauchtes Großkraftwerk auf Rädern. Sehnsuchts-Träume wie meine Treckerträume zeigen meistens erhofftes, aber noch nicht er-fahrenes Erleben. Oder zu wenig Erlebtes. Oder ein abgebrochenes Erlebnis, dessen fehlendes Teil lebenslang gesucht wird. Woraus Sehn-Sucht schließlich immer erwächst.

Bei mir ist es Letzteres. Denn ich durfte ja schon einmal treckern. Mit 9 Jahren war ich zur Luftveränderung in Mägerkingen, der Ort meiner nicht gänzlich erfüllten Sehnsucht. Mägerkingen liegt auf der Schwäbischen Alb. Der Nachbarsjunge, mit dem ich spielen durfte,  hatte einen Vater und der Vater hatte einen Trecker in der Scheune. Mein Spiel-Kamerad setzte sich auf diese offene Eisenschale namens Fahrersitz, drehte den steckenden Schlüssel zum Anlassen und machte uns mit der einsetzenden Dieselmusik trunken. Dann durfte ich. Rauf auf den Sitz, dann etwas runter, damit ich an eines der Pedale kam – und der Trecker machte einen Satz. Mit mir an die Wand.

Seitdem suche ich ja nicht nach einem Trecker, den ich fahren dürfte. Nur mitfahren, Augen zu und in Trance-Stufe 2 imaginieren, dass ich der Fahrer wäre.

2. November 2021