Grüß Gott

Bei den Spaziergängen an der Iller bei Fischen bei Oberstdorf grüßt man sich. Im November wandern da keine Massen. Dafür Menschen.

„Grüß Gott“ ist die Regel. Beiderseits. Von allen. Von den Katholiken hier. „Grüß Gott“ von den Evangelischen. „Grüß Gott“ von Kirchenfernen und Kirchenfeinden, deren Feindschaft mehr Energieverschleiß fordert, als wenn sie sie nur fernblieben. „Grüß Gott“ auch von der wachsenden Gruppe derer, denen Gott und Götter herzlich schnuppe bis unbekannt sind. „Grüß Gott“ auch beim Tankwart in Oberstdorf, der aus dem Irak stammt und Moslem ist.

Dann das gottlose „Servus“. Das kommt von den Österreichischen hier, obwohl sie katholisch sind. Warum die überhaupt kommen, wo ihr eigenes Bergland gleich nebenan ist. „Grüezi“ kommt von den Schweizern, etwas weiter nebenan vom Allgäu. Alles grüßt sich hier an der Iller. Wie bei uns im Dorf. Nur ohne Fluss. Und meist ohne Gedanken an den lieben Gott.

Irgendwie oute ich mich mit meinem „Grüß Gott“ doch als Migrant in Bayern. Jedenfalls hören sie – glaube ich – meinem Grüßen nach. Manche gucken sich um, wünschen guten Urlaub und „Advent, den erschten, und so“. Gestoßenes „so“.

Dann vorgestern. Da grüße ich immer noch im Anpassungsversuch wieder mit Gott und ernte einen - - „Guten Tag!“. Mit dem Beiklang des hohen und nördlichen Deutschen.

Was macht es, dies „Guten Tag“ mit mir? Es lässt mich abrupt stehenbleiben. Dann lässt es mich das grüßende Paar fragen, woher sie im Norden kommen. Hannover! Mein Gott - fast zu Hause. Ich strahle, das Paar strahlt und Christine lächelt. Ein Stück Heimat. Wir wünschen uns möglichst ungefährliche Vorweihnachtszeit.

Noch höher schrauben sich die Stimmen auf dem Parkplatz in Sonthofen, als sich zwei Autofahrer mit dem Kennzeichen KS entdecken. Kassel. Da wird gewinkt. Beim Erkennen. Beim Abschied nochmal. Heimat, liebe Heimat, wann werde ich dich wiederseh`n?

Das ist eben das Heilsame an Ferien, an Urlaub, an einer Kur, die heute Reha heißt: Die Erkenntnis, wie man und frau und Kind sich wieder auf zu Hause freuen. Jedenfalls ungefähr ab 2. Woche. Selbst, wenn dort der Grußauftrag sich ins Kürzestmögliche, Neutrale wandelt: Moin! 

Zu Hause gilt dann wieder, auch ungefähr ab 2. Woche, dass das Glück immer dort ist, wo man nicht ist. Genau heißt es: „Das Glück ist dort, wo du nicht bist“. Schlusszeile des Gedichtes „Wanderers Nachtlied“ von Herrn Schmidt aus Lübeck. 1821 geschrieben und deshalb so bekannt, weil Franz Schubert ihm Töne gab. Der Wanderer denkt und dichtet sein Heimweh auch vom Gebirge aus. Auf dem ich noch spaziere, vorfreue auf die Tiefebene.

Ich habe mir von Christine in Oberstdorf einen Adventskalender gewünscht. Mit Trachten aus dem Allgäu. Ich werde ihr am 1. Dezember norddeutsch danken. Nicht mit „Vergelts Gott“.

30 November2021