Sehr verschiedene Ostereier

Nach Ostern ist eben nicht zeitnah vor Ostern. Gott sei Dank. Ich muss erst verdauen, was sich so an weichen, harten, bemalten oder beklebten Eiern fand. Wobei ich besonders die meine, die sich aus dem österlichen Treffen mit Familienmitgliedern ergeben. Diese Eier beschäftigen die geistige Peristaltik weit mehr als die anderen.

Ei Nr. 1: Vom Cousin Hartmut erfahre ich, dass unsere gemeinsame Cousine „eine neue Beziehung hat“. Ich bin viel zu erfahren, als dass ich über irgendwelche Zusammenhänge zwischen Alter und Liebe staunen dürfte. Nein, ich bin beschäftigt mit der Beschreibung „Beziehung“, über die ich staunen soll, weil Hartmut mich erwartungsvoll anschaut. Ich bringe ihm schonend bei, dass ich täglich, wirklich täglich, mindestens eine neue Beziehung aufnehme. Meist mehrere. Warum sagt der moderne Mensch, der Hartmut auch sein will, nicht klar, was Sache ist. Uschi hat eben einen neuen Liebhaber. Diesmal ist er unter 80.

Ei Nr. 2: „Opapa geht jetzt am Stock, weil er humpelt“ höre ich hinter mir die eine Enkelin der jüngeren erklären. Du liebe Zeit! Ich gehe seit 26 Jahren an einem (sehr schönen) Stock auch öffentlich in den Hörsaal. Davor auch schon immer. Nur heimlich.

Die Mutter der Enkelin will mich trösten: „Du, sie kam kürzlich zurück aus dem Kindergarten – und schilderte, sie hätten eine neue Erzieherin. `Die ist jünger als du, Mama, sie hat weniger Falten`.“

Ich muss nicht getröstet werden. Ich will die Gründe für dieses radikal veränderte Feedback-Verhalten der sprechfähigen jüngeren Jugend gegenüber der etwas Älteren (den Eltern) und uns nochmal Älteren (Großeltern) einmal analysieren. Auch ganz sachlich. Wie die Sache mit Uschis neuer Beziehung.

Auch germanistisch und psychologisch interessant, warum der sinnentstellende Komparativ, die Steigerungsform, sich so stur hält bei „älter“, das jünger als alt bedeutet. Oder „jünger“, das älter als jung sein soll. U.a.

Ei Nr. 3: Herr Schultz hat recht mit seiner freundlichen Erinnerung an den Spruch, dass „wer kein Englisch kann, kein Deutsch kann.“ Die Gebrauchsanweisung der Kamera, die das Ostereier-Suchen am nächsten Vormittag verewigen soll, aber beim Checken am Karsamstag nicht geht, ist selbst für Gilles, der perfektes Englisch spricht, unverständlich. Was er rausliest aus der Gebrauchsanweisung für PCE 31/23 ist die Bedeutung der Zahl. 31/23 meint: „Es liegt eine Störung im Betriebssystem vor.“ Aha.

Ei Nr. 4: Beim österlichen Besuch der Gräber von einigen Lieben gibt es weniger Andacht, aber dafür die Unterweisung einer weiteren Cousine (im Kirchenvorstand), dass ein Friedhof heute streng unternehmerisch geführt sein will: Viele Tote bedeuten ein Plus, weniger ein Minus.

Ich habe das Bedürfnis nach kurzer Flucht in die Einsamkeit. Die füllt mir die Ostersamstagsausgabe der Zeitung. Jedoch - diese regt mich auch nur zu weiterer gedanklicher Peristaltik an: Wieso stehen die Unter-Rubriken „Sie sucht ihn“ und „Er sucht sie“ unter der Oberrubrik „Fundgrube“? Das ist eine fragliche Würdigung menschlicher Würde. Gut, dass nach Ostern nicht gleich vor Ostern ist.

19. April 2022