Gleiche Brust für alle

„Nackte Brüste in der Öffentlichkeit.“ Dieser Titel stand kürzlich nicht nur in dieser Zeitung. Er belehrt uns immer wieder: Skandalöses siegt über alles. Von den drei „TTT“ jenes Dozenten an der Journalistenhochschule in München erzählte ich schon. Die drei „TTT“ waren und sind bis heute bei ihm die Voraussetzung für eine verkaufshohe Zeitung. Titten, Tote, Tiere – empfiehlt er. Nein, keine Namen.  Zumal dieser Schreibkollege über 55 ist und pubertäre Ausfälle nicht mehr in Anspruch nehmen kann.

Der Untertitel kürzlich zu den nackten Brüsten in der Öffentlichkeit ist viel interessanter: „Das Innenministerium Hannover entscheidet“, dass die Polizei bzw. die Betreiber von Schwimmbädern entscheiden, ob die Brüste gezeigt werden. Oder nicht. Hintergrund war und ist der politische Druck der Bewegung: „Gleiche Brust für alle.“ Was wir Männer leben dürfen – oben ohne zu schwimmen – soll für alle gelten!   

Kurz eine andere Geschichte, die auch was lehrt: Ullis Eltern waren und sind überzeugte Anhänger der Freikörperkultur. Ullis Großeltern und Urgroßeltern väterlicherseits auch und damit sind wir am Ende des 19. Jahrhunderts, wo der Rest der Nation zwischen zivilen und militärischen Kragenknöpfen und Korsetts niederging.  Die Familie lebt und liebt Nudismus und ging mit Ulli an die vorgeschriebenen Strandabschnitte.

Ulli war vier Jahre alt, als er nach dem Frühstück die Dreigenerationen-Familie schockte. Er verlangte nach einer Badehose!

Von der Geschichte lässt sich viel lernen: Für den Sinn und die Entwicklung der Scham einerseits und Abgrenzung andererseits. Das Thema Scham ist zu wichtig, um es nur kurz anzugehen. Daher hier nur die Abgrenzung (obwohl beides miteinander zu tun hat).

Was Ulli mit dem Wunsch nach einer Badehose (u.a.) zeigte, ist sein Bedürfnis, sich abzugrenzen von all den anderen, die - wie er – nur nackt waren. Die Familie war klug und funktionierte ein Handtuch um.     

Die jetzige heftige öffentliche Debatte in der Unistadt Göttingen über das Recht auf nackte Brüste beschreibt nur eine Entwicklung: Wir wollten und wollen auf Teufel komm raus jegliche Art von Ungleichheit weggleichen. Selbst wenn der Teufel doch oft schöne Natur bietet.  

 

Das Innenministerium entschied jetzt, dass es nicht entscheiden werde. Vielmehr die Polizei und die Schwimmmeistereien – Voraussetzung, es gebe Beschwerden über das Oben-ohne. Sonst gibt es nichts.

Schauen wir in die Zukunft: Es ist eine Frage der Zeit, wann wir das Unten-ohne debattieren müssen. Und weiter ist es eine Frage der Zeit, wann erste Klagen eingehen werden von Oben-ohne-Verfechterinnen. Dass sie sich angestarrt und deshalb belästigt fühlen.

14. Juni 2022