Kriegsweihnachten

Kevin (8) steht derzeit auf Bundeswehr, Polizei. Uniformen und so. Auch bei mir im Haus strich er schon länger um die Machete aus Brasilien und den Offizierssäbel seines Großvaters herum. Von wegen Erbe…

„Ich freu mich auch über gebrauchte Sachen“, waren die nebenbei fallengelassenen Wörter. Jetzt teilte er seine Weihnachtswünsche mit. Ein Maschinengewehr. Echt aussehend. Mit Sturmhaube wie beim KSK.

Mein Entsetzen über Kevins Wunsch wollte ich den für seine Erziehung zuständigen Bezugspersonen, mitteilen. Aber Christine erinnerte mich daran, dass Jochens Vater einen vollen Waffenschrank besitzt und nutzt. Jäger und Heger. Außerdem erinnerte Christine sich an den Bericht ihrer Schwiegermutter - also meiner Mutter - über ein Weihnachten, an dem ich (so alt wie Kevin jetzt) mir ebenfalls ein Gewehr gewünscht hatte. Holz, mit der Mechanik, die Gummibolzen abschoss. 10 m Reichweite zu Esszimmer und Amtszimmer. Meine Mutter berichtete von den Grundsatzdiskussionen im sonst pazifistischen Haus. Ergebnis: Ich bekam das Gewehr. „Das geht vorbei“, soll die Großmutter (vier Söhne) gesagt haben.

Das Lied „Morgen kommt der Weihnachtsmann“ erschien im Verlag Georg Bratfisch vor dem ersten Weltkrieg mit folgender Einstiegsstrophe:

„Morgen kommt der Weihnachtsmann, kommt mit seinen Gaben: Trommel, Pfeifen und Gewehr, Fah'n und Säbel und noch mehr, ja, ein ganzes Kriegesheer möchte ich gerne haben.“ Die Lied-Strophe wurde in den Auflagen nach dem 2. Weltkrieg herausgenommen, aber ich sang aus einem geerbten Liederbuch und aus voller Brust. Leider hat die Strophe heute gänzlich neue Bezüge. Weil unsere Waffen in einem aktuellen Krieg gewünscht und geliefert werden.

Julia (10) wünscht sich eine andere Mutter. Die hatte Julia zwar zum Geburtstag das längst eingeforderte Handy geschenkt, aber mit Freischaltung nur über ihr mütterliches Handy. Und auf anderthalb Stunden begrenzte Nutzung mit den Freunden in der Klasse. Und für Video-Spiele mit noch mehr Mitspielern.

„Ich bin die einzige mit Begrenzung“, klagt Julia, „alle anderen dürfen, wann sie wollen. Andrea hat jetzt ein Game auf ihrem. 12 Spielstufen. Sie hat sie in eins durchgespielt. Den ganzen Samstag und Sonntag.“

Diesmal hatte ich Christine auf meiner Seite. Und Julias Mama. Und Vater. Wenn jetzt die Zeitbegrenzung fällt - dann ist das Weihnachtsfest ein Abschiedsfest. Denn nach Julia käme Jochen im Frühjahr mit demselben Forderungskatalog und besseren erpresserischen Methoden („und dass ich was heimlich mache, wollt ihr ja auch nicht, oder?“).

Großmutter hatte Recht: Waffenwünsche führen nicht gleich zum Leben in Uniform.

Aber das Leben mit Handy ist ein lebenslanges. Ob es ein lebenslängliches wird und ein familienkriegerisches Weihnachtfest, hängt von klugen Eltern ab. Und einsichtigen Kindern.

Frohes Christfest. Wo immer möglich!

20. Dezember 2022