Moderne Qualen

„Weiß ich nicht. Vielleicht sowas mit Computer oder Mechatronik. Handwerk, meinen Sie? Ach nee. Das heißt vielleicht doch. Sowas wie Tischler, wo man was in der Hand hat. Aber Studieren vielleicht auch. Was? Weiß ich noch nicht…“

Hunderttausende Jugendliche verlassen jetzt die Schule, lese ich, ohne eine Vorstellung von ihrer beruflichen Zukunft. Obwohl der Markt der Zukunftschancen explodiert und dieser die Jugend sucht. Leider die nicht den Markt.

Sowas kenne ich vom Super-Markt: Wenn mir freisteht, für meinen Haushalt einzukaufen (weil Christine für einige Tage die Enkel besucht und weg ist) – dann habe ich die Qual der Wahl zwischen Frischgemüse, das mich anlacht, Fleischtheke, die mich anstrahlt, Salate, die die berühmten Mund-Gewässer zum Fließen bringen. Und kann mich nicht entscheiden…Wenn nicht hilfsbereite Menschen mich Angewurzelten ansprechen und beraten würden – ich würde vielleicht resignieren, geldsparend nach Hause fahren und dort die Teigwaren -Notfalldose aufmachen.

Oder verhungern.

Auf dem Markt der Beziehungen und Beziehungsstörungen kenne ich mich auch aus. Da jedoch nicht als Betroffener, sondern als Berater: Da mehren sich die, die sich nicht für die oder den einen Lebenspartner entscheiden können, sondern nur für mehrere. Und vor lauter Vielfalt der Auswahl bleiben sie einsam.

Auch liebende Paare soll es geben, die vor einem Fernseher hocken, aber sich bis zur Ermüdung streiten, weil sie sich nicht auf ein Programm unter den unzähligen einigen können.

Politische Angebote, analoge und digitale Medienangebote, Hobby–Überangebote. Zuviel Optionen töten die Entscheidung für eine.

Unsere Kinder und Enkel dürfen demnächst ihre Geschlechtszugehörigkeit neu bedenken. Auch ihre bisherigen Namen. Sie sollen suchen, was ihnen - vielleicht -  besser tut.

Auch zu viel Wissen kann einen quälen. Der Dichter Eugen Roth (1895 – 1976) schildert:

Ein Mensch, nichts wissend von „Mormone“/ Schaut deshalb nach im Lexikone/ Und hätt es dort auch rasch gefunden/ Jedoch er weiß, nach drei, vier Stunden /von den Mormonen keine Silbe./ Dafür fast alles von der Milbe/ von Mississippi, Mohr und Maus. /Im ganzen „M“ kennt er sich aus.

(Eugen Roths Mensch entschlief, ohne das erstrebte Wissen gelernt zu haben.)

Zurück zur Jugend. Eine aktuelle Befragung ergab Beruhigendes. An einem „sozialen Jahr“ nach der Schule sind „hocheffizient“ viele interessiert.

(Vollständiger Text von Eugen Roth: „Ein Hilfsbuch“ in „Mensch und Unmensch“).

11. Juli 2023