Kirchen-Kneipen-Wohnung-Museum

In St. Andreasberg stand die kleine (katholische) Kapelle an einem Schräghang. Dauergewohnt an die Schräglage durch den Oberharz. Christines Lehrerin, Fräulein Lang, lebte mit ihrer Kapelle mindestens so intensiv wie mit ihren Schulklassen.

Gott sei Dank kriegte Fräulein Lang nicht mehr mit, als die Kapelle wegen finanzieller Schräglage mangels Gläubigen eine - Kneipe wurde.

Eine größere Kirche (evangelisch) in Bielefeld, in der Nähe zur Einfahrt nach Bethel, erlebte das gleiche. Gastronomisierung. Zu einem Kirchendach in Rostock führt ein Lift. Zu Wohnappartements.

Jetzt stand es auch in der Zeitung: Die Synode des Kirchenkreises Uelzen musste dasselbe Thema behandeln: Was tun mit den 220 kircheneigenen Bauten bei schwindendem Geld und Gläubigen? Die Synode hat einen Profi, Ulrich Horn. Der ist Behörden-Profi in Sachen weltlicher Gebäude als auch derjenigen mit „kirchlich“ davor.

Was für Zeiten! Zuviel Kirchengebäude, zu wenige Pastorinnen und Pastoren. Und zahlende Christen ebenfalls.

Zeiten – wenn man sie vergleicht – drehen sich manchmal um weit mehr als 180 Grad. Im ausgehenden 18. Jahrhundert und Beginn des 19. Jahrhunderts gab es viel zu viel angehende Pastoren. Und viel zu wenig Pfarrgemeinden.

Jürgen Kaube beschreibt in seiner Biographie den Jungtheologen Georg Wilhelm Friedrich Hegel und seine Mitstudenten. Sie sind mehrheitlich berühmt geworden – aber keine Pfarrer. Privaterzieher wurden sie. Und Hegel unser Philosoph der Aufklärung.

Sie strebten zunächst Pfarren an und warteten darauf, standen Schlange, pilgerten zu älteren und alten Pfarrern - voller Hoffnung, wenn diese unter Husten litten…

Manche arbeitslosen Theologen suchten schlicht Existenzgrundlagen. Pfarrer auf dem Land schrammten im Blick auf Cash zwar oft am Existenzminium. Aber durch Gärtnerei oder Landwirtschaft konnten sie fehlendes Geld etwas ausgleichen. Genauer - ihre Frauen.

Hildegard, Frau des letzten Superintendenten des Kirchenkreises Bevensen, der in den 70ern von Uelzen geschluckt wurde, konnte aus ihrer Anfangszeit Lieder von drei Morgen Zwangsgartenarbeit singen.

Heute gibt es rund A 13/14 für Pastorinnen und Pastoren, dafür keinen Zwang zur Landwirtschaft.

Dramatisch ist nichts, sagt Horn, sagt die neue Pröpstin. Die erste ihres Geschlechts. Sicher sei, dass über den allermeisten Häusern, Feldern, Wiesen noch lange Kirchtürme winken und einladen.

Apropos: Friedrich Nietzsche, ein Pfarrerssohn, schrieb (sinngemäß): „Menschliche Empfindung auf dem Lande würde unruhig“, wenn in der Landschaft keine Punkte wären, an denen sich das Auge festhalten kann.

Halten wir uns weiter fest.

11. Juni 2024