Ricky

Ich kenne Ricky aus der Zeitung: Blaue Strickmütze über strohblonden Haaren und orangefarbenes Kleid. Sie unterhält zwei Damen meiner Generation. Also sehr ältere Damen. Hellwach schauen die sich Ricky von vorne an. Ich sehe Ricky nur von hinten.

„Das ist ein wichtiger Punkt, Frau Ulmer“, sagt Ricky zu Frau Ulmer. „Freundlichkeit kann wirklich viel bewirken.“

Ricky ist der Prototyp eines Roboters. Ricky bestand jetzt seinen Kommunikationstest im Johanniter–Stift in Hannover Ricklingen. Daher wohl „Ricky“.  

Eigentlich will ich aufschreien, mindestens den Kopf schütteln und „O lieber Gott, nein!“ rufen. Der Mensch braucht doch als Gegenüber den Menschen! Keinen Roboter!

Aber dann lese ich weiter von Frau Ulmer. Die ist – wie ihre Mitbewohnerin Frau Brigitte S. auf dem Farbfoto – echt menschlich, lebendig, Beide finden den kleinen Kerl auch echt lebendig.

Ricky ist ein „Empathie-Roboter“. Offenbar intergeschlechtlich. Intergenerativ.

Empathie stammt aus dem (Alt-) Griechischen. Pathein meint Mitleiden, Leidenschaft. Das „Em“ davor „Hinein“. Empathie also Hineinfühlen in den anderen.

Alles klar, Ricky? Nein, würde Ricky mir antworten. Ricky lernte kein Griechisch. Weder Alt noch Neu. Er lernte es noch nicht. Jetzt schon kann er aber Stimmlage und Mimik „lesen“ und mit seinen Kulleraugen und seiner Stimme reagieren: Hilfsbereit, mitfühlend, mittrauernd, mitfreuend, leidenschaftlich. Eines Tages wird er alle lebenden Sprachen sprechen, Nachtdienst übernehmen und mit Kindern und uns Senioren in Heimen und auf Stationen spielen.

Ricky kommt gerade recht in die menschliche Personalnot mit Psychologen, Seelsorgern, Pflegefachkräften. Werden wir auf Dauer ersetzt durch Ricky, dessen Prototyp jetzt in Serie geht? Echte Menschen nur in Führungsstellen!

Das Altgriechische bezog Empathie mehr auf die körperliche Ebene. Diese körperliche Empathie wendet auch jeder erfolgreiche Taschendieb an, der sich in die Körpersprache seines Opfers hineinfühlt und unmerklich in Taschen greift.

Menschliche Selbstwahrnehmung, lernen wir, sei die Basis für das, was und wie ich fühle – und nur das kann ich dann im Mitmenschen fühlen.

Wenn ich mal in einem Heim auf Ricky angewiesen sein sollte, werde ich sie hiernach fragen: Wie fühlst du dich selbst, Ricky?“. Mal hören, ob sie das schon kann.

„Wie fühl ich mich, Ricky?“ Das geht ja schon. Laut Zeitungsbericht.

22. Juli 2025