Einschulung in Belgien
Da stand sie. Klein, zierlich, zur Hälfte verdeckt von dem Schulranzen, tänzelnd vor Ungeduld. Enkeltochter Finja. Sie wächst zweisprachig auf. Deutsche Mutter, Vater französisch sprechender Belgier. Über ihr, den künftigen Mitschülern und ihrer Lehrerin wehten bunte Fähnchengirlanden.
Sie machen es richtig, die Lehrerinnen und Lehrer und die Eltern: Künftige Schulzeiten sollten mit Kurzweil, mit Fest und Geschenken beginnen. Gerade weil Schulzeit insgesamt langwierig ist. Was immer auch schwierig heißt.
Großeltern, Onkel und Tanten winkten den Kindern entgegen, als sie nach der Einschulung im Schulgebäude dasselbige gleich schon wieder verließen, um sich weiter feiern zu lassen.
Die Feier trug einen babylonischen Charakter. Babylon – das steht für Sprachschwierigkeiten, mit denen Gott die Menschheit bestrafte, nachdem sie in Neid, in Habsucht, in Sündenpfuhle jeder Art versunken waren.
Denn Finjas Großeltern waren alle vier da. Christine und ich, dann die zwei aus dem französisch-sprachigen Teil Belgiens im Kleinbus. Sieben Plätze. Gefahren von Finjas französischem Onkel im Schlepptau von vier weiteren französischen Cousinen und Vettern im jugendlichen Alter.
Wir verstanden ähnlich wenig von dieser eleganten Kultursprache wie die meisten französischen Verwandten das Deutsche. Weswegen wir Deutsche ins Englische flüchteten. Ins Denglische. Und die Franzosen ins Franzenglisch.
Denglisch ist jenes Englisch, das die älteren Deutschen sprechen, die zum Teil Englisch bei Englischlehrern lernten, die Deutschland nie verlassen hatten.
Von Monika aus München lernten wir, wo man am liebsten Englisch spricht. Weil man es dort ohne Rücksicht auf Gesichtsverluste spricht, wenn man auf der stolperig-stotternden Suche nach richtigen Wörtern ist.
Monika strahlte uns ermutigend an: „Ihr solltet einmal die Treffen der Weltbank-Vertreter miterleben!“ Sie ist mit einem der vier Direktoren der Weltbank verheiratet.
„Da treffen sich die Bankenvertreter aus allen Erdteilen. Über hundert sind es. Und alle sprechen ein anderes Englisch. Die aus Indonesien, die aus Norwegen, die aus China und die aus Russland. Es gibt kein Falsch, kein Richtig. Man spricht solange, bis man versteht, was gemeint ist.“
Wir lernen, dass die Belgier gar keine Einschulung feiern. Keine Fähnchen, keine jubelnden Großeltern! Die Anreise einer ganzen Truppe von Belgiern zeigt die Sehnsucht nach einer deutschen Einschulungsfeier.
Es gibt ein einsames, kostbares Schwarzweiß-Photo mit mir und meiner Schultüte.1951.
Gestern durfte ich einige Minuten Finjas Schultüte tragen, während sie uns Erwachsenen Übersetzungshilfe gab. Denn sie spricht beide Sprachen perfekt. Und demnächst Englisch.
19. August 2025