Allgemeine Zeitung der Lüneburger Heide, 06. März 2015

 

 

Ein allrounder wird 70

 

Ein „Allrounder" wird 70: AZ-Kolumnist feiert in Russland

ap Uelzen/Allenbostel. Er ist Geschichtenerzähler, Wissenschaftler und Autor in einer Person: Hans-Helmut Decker-Voigt kennt keine Langeweile (Foto: Petersen). Jetzt wird der Allenbosteler 70 Jahre alt. Er hat bereits mehr als 1000 AZ-Kolumnen geschrieben. Doch die Beine hochlegen will Decker-Voigt auch künftig nicht: Er sitzt bereits auf gepackten Koffern. Seinen Ehrentag feiert er in Russland, wo er sich den Themen Krieg und Terror widmet. Seite 4

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Von Kunst und Terror-Feuer

Hans-Helmut Decker-Voigt wird 70 Jahre alt - und reist nach Russland

Von Anna Petersen

Uelzen/Allenbostel. Das Licht in Prof. Dr. Hans-Helmut Decker-Voigts „Studier-Stube“ erlischt selten vor drei Uhr nachts. Dort, wo tausende Bücher kreuz und quer zwischen Regalbrettem lagern, sitzt der 69-Jährige oft stundenlang und geht dem nach, was er als „Gestaltungstrieb“ bezeichnet: Er schreibt - Romane, Fachbücher, AZ-Kolumnen.

Und weil auch sonst im Leben von Decker-Voigt nicht viele Dinge so verlaufen, wie man sie erwartet, verwundert es nicht, dass er auch seinen 70. Geburtstag am 17. März nicht irgendwie begeht: Der Senior-Professor für Musikpsychotherapie der Musikhochschule Hamburg fliegt nach Russland, um dort auf Einladung der „Rostropovich-Hochschule“ beim Internationalen Kongress für Kunst und Wissenschaft über die künstlerische Verarbeitung von Krieg und Terror zu sprechen. Und mehr noch: Zu den 18 Terminen an zehn Tagen, die für die Reise im Terminkalender des Allenbostelers stehen, zählt auch eine Ehrung für seine Arbeit und eine Lesung aus seiner Romantrilogie „Das Pfarrhaus“ in der Staatsbibliothek. „Ich stecke in drei verschiedenen Schubladen“, erzählt Decker-Voigt, „und ich werde oft gefragt: Wer bin ich eigentlich?“ Diese Frage stelle sich dieses eine Mal nicht: Nach Russland reise er als Geschichtenerzähler, Literat und Wissenschaftler in einer Person - und die sei aufgeregt, gesteht der Mann, der ein Drittel seines bisherigen Lebens auf Reisen verbrachte.

So erreichten Decker-Voigts Kolumnen - 1012 wurden bis heute in fast 35 Jahren veröffentlicht - die Redaktion von den entlegensten Orten aus.Ich führe ein erfülltes Leben „Es ist bis auf Neuseeland alles dabei“, erzählt der Literat. Über den Computerbildschirm im Hintergrund wandern Bilder von Urlaubsorten, idyllischen Pferdewiesen und Familienfeiern, während er an die Zeiten des Telefax’ und der telefonischen Diktate zurückdenkt. Heute sichtet Decker- Voigt täglich bis zu 100 Mails und stellt dennoch klar: „Ich habe gerne Arbeit - ohne Workaholic zu sein.“ Nein, an Ruhe ist für den zweifachen Vater und dreifachen Großvater nicht zu denken. Ob ihm das Älterwerden etwas ausmacht? Ganz und gar nicht. „Mir geht es in den letzten Jahrzehnten so gut wie nie zuvor. Auch wenn meine Gelenke älter sind, sind sie besser zu benutzen als in den ersten anderthalb Jahrzehnten.“ Denn was viele nicht wissen: Decker-Voigt kam mit Kinderlähmung zur Welt, litt später unter Tuberkulose, was ihn über Jahre ans Bett fesselte. Doch während er von Aufenthalten in Krankenhäusern und Sanatorien berichtet, liegt in seiner Stimme kein Bedauern. Seine Kindheit, schließt er ohne Zögern, „war eine unendliche Glückliche“. Der Grund ist derselbe, der auch seinen beruflichen Weg in die Musiktherapie ebnete. „An meinem Bett waren immer Erwachsene, die mich liebten und mich unterhielten“ - vorzugsweise mit Musik, erzählt Decker-Voigt und sein warmer Blick verschmilzt mit dem Schein der Kerzen im Raum. „Für mich ist künstlerischer Ausdruck immer einer, der etwas verarbeitet“. Das hätten bereits die großen Dichter, Komponisten und Autoren nach den schweren Kriegsjahren beherzigt, und das sei auch jetzt, wo „viele kleine Feuer“ des Terrors in der Gesellschaft loderten, aktueller denn je. Um das in einem Land wie Russland zu vermitteln, verschiebt er sogar die Familiengeburtstagsfeier in der Heide. Dort, in seiner Studierstube, warten derweil nicht nur zahlreiche neue Einfälle darauf, zu Papier gebracht zu werden, sondern auch eine Vielzahl an Nilpferden - natürlich keine echten. Sie sind aus Stoff, aus Holz und Plastik, grinsen aus Bilderrahmen und von Postkarten, die ihm Freunde und Kollegen in Anlehnung an die Figur „Pummel“ geschenkt haben. So heißt das Nilpferd, mit dessen Geschichten der Allenbosteler einst eine neue Form der Entwicklungspsychologie zwischen Buchdeckeln entstehen ließ. Pummel begleiteten seine Leser bereits durch die Kindheit, die Pubertät und das Leben in einer modernen Patchwork-Familie. Bald, kündigt Decker-Voigt an, gehe Pummel ins Altersheim. Aber ohne seinen Autor.